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Transgenerationale Traumata

Wir sind unsere Ahnen: Eine neue Verkörperung eines ununterbrochenen Lebensstroms.

Traumata und nächste Generationen

Fotos: Meine Oma als junge Frau in ihrer Heimat Schlesien.

Foto: Meine Urgrossmutter mit ihren Kindern in Schlesien. Meine Oma ist die Kleinste: Ein ununterbrochener Lebensstrom, denn ich bin die Frau, einer Frau, einer Frau…

Foto: My Artwork for my dance theatre work.

Ein grosses und umfangreiches Thema. Ein Thema für das ich grosses Verständnis und gelebtes Verstehen habe. Daher beziehe ich es sehr gern in meine Arbeit mit ein, wenn es sich zeigt. Und es zeigt sich häufig.

Über viele Jahre habe ich mich auf intensivste Weise mit diesem Thema beschäftigt; angespornt durch den Durst einer jungen Erwachsenen sich selbst zu verstehen und durch das Schweigen, das sich scheinbar durch die Geschichte meiner Familie zu ziehen schien und sich auf mich legte wie ein schwerer Mantel. In der Familiengeschichte gab‘ es Suizid so wie Flucht & Vertreibung. Schuld, Scham & Schweigen zog‘ sich unbenannt und daher diffus gefährlich durch Räume und Zellen. Schweigen, Unausgedrücktes, Unverarbeitetes wird weitergegeben und löst u.a. eine überproportional grosse Anstrengung so wie eine gewisse Orientierungslosigkeit aus.

Udo und Gabriele Baer drücken es in ihrem Buch ‚Wie Traumata in die nächste Generation wirken‘ wie folgt aus:

Ein Traumaerleben ohne ein Traumaereignis zu spüren ist eine nicht greifbare Last. Eine nicht greifbare Last ist eine unendliche Last, weil sie kein Maß hat, weil sie den Impuls kreiert, daß es immer aufwärts gehen muss, dass gegen etwas gekämpft werden muss, was gar nicht bekannt ist. Viele wollen (….) auch wieder etwas gutmachen, was sie nicht wieder gutmachen können, weil sie das Schicksal ihrer Eltern nicht verschuldet haben. Diese riesige (..) chancenlose Anstrengung verfestigt sich in der Erregungskontur eines Menschen.

Zu Flucht & Vertreibung

interviewte ich zunächst meine Oma, die zu der Zeit noch lebte, aber nie über die Vergangenheit gesprochen hatte. Sie war mit ihrer Familie von den Russen vertrieben worden (Waffe im Nacken) und floh später allein (und zu Fuss mit einem Stück Brot!) nach NRW um ihren Mann wieder zu finden, der als Soldat mit dem letzten Schiff aus Norwegen rausgekommen ist und nun bei den englischen Alliierten arbeitete.

Später kontaktierte ich Gruppen und Verbände, die sich mit dem Thema Krieg, Flucht & Vertreibung beschäftigten. So landete ich 2005 bei Sybille Dreher, die zu dieser Zeit die Präsidentin des Frauenverbunds im Verband der Vertriebenen war. Ein Austausch begann. 2009 wurde ich als Gastrednerin auf die Veranstaltung ‚Brücken bauen‘ so wie zu der Sendung ‚Fakt ist…’eingeladen, wo ich Sabine Bode kennen lernen durfte, die sich ausgiebig mit diesem Thema beschäftigt(e) und darüber ein paar wunderbare Bücher geschrieben hat, wie zum Beispiel: Kriegsenkel

DU MÖCHTEST NOCH MEHR ERFAHREN?

Danach sprachen mich immer mehr ‚Kriegsenkel‘ an. Auch hier begann ein verblüffender Austausch. Es gab‘ Tränen, Einsichten und Erleichterung. Und Letzteres ist letztendlich immer das was zählt: Das sich die Knoten in Dir lösen. Und genau das sagte ich auch einer Zeitzeugin, die ich bei einer anderen Veranstaltung kennen lernen durfte. Sie fragte mich (verständlicherweise) was ich denn mit all dem zu tun hätte, ich sei‘ doch noch so jung. Ich spürte in mich hinein und sagte: ‚Ich kann es Ihnen nicht genau sagen, alles was ich weiss ist, dass sich in mir Knoten lösen und Türen öffnen, wenn ich mich damit beschäftige.‘

Im Weiteren hat es mir gezeigt wie wichtig es ist den Mensch hinter der Rolle zu sehen. Da war nicht nur meine liebe Oma, sondern eine enorm starke Frau. Es öffnet das Herz und das Verstehen, denn wie es in einem meiner Tanzstücke einmal vorkam: “ …Ich bin die Frau einer Frau einer Frau…!‘

Auch Familiengeheimnisse, die gelüftet werden können für die Folgegenerationen extrem entlastend sein. Denn dadurch, dass sie geheim gehalten werden, werden Schuldgefühle & Scham und damit viel Energie gebunden- in die Generationen hinein. Daher ist es so wichtig sie sichtbar zu machen. Im Hier & Jetzt. Erst vor Kurzem erfuhr ich das meine Urgrossmutter mütterlicherseits nach ihrem 4. Kind in die Psychiatrie abgeschoben wurde – für 18 Jahre! Nachdem ich nun auch diese Geschichte erfahren hatte löste sich etwas in mir; meine Wahrnehmung (da stimmt etwas nicht!) wurde bestätigt und nicht weggeschoben oder als Quatsch abgetan. (So trägt es sich weiter)  Das ist kraftvoll.

Dieses Thema zeigt sich auf unterschiedliche Weise und auf unterschiedlichen Ebenen – durch tiefliegende Grundmuster wie Schuldgefühle oder Scham, durch disproportional grosse Angst und Anstrengung, die nicht zu der jeweiligen Biografie zu passen scheinen, durch spezifische körperliche Symptome oder sogar durch Erfahrungen und Lebenssituationen, die sich zu wiederholen scheinen. (Beispiele: In der Ahnenreihe bis heute stirbt immer der Mann sehr früh – UrOpa,Opa, Vater, Ehemann…; oder das Gefühl ‚immer auf der Flucht‘ zu sein: Andauernde Umzüge,’aus dem Koffer leben‘,  grosse und damit meine ich disproportionale Angst vor Sichtbarkeit ‚dann werde ich gefunden‘, ‚dann werde ich verhaftet‘, Re-Inszenierungen von sexueller Gewalt.)

Ich finde etwas, das Konrad Alverdes in seinem Artikel „Embryonale Verkörperung“ beschreibt zum Thema transgenerationale Weitergabe sehr passend und einleuchtend:

„Mit der Empfängnis beginnt unsere individuelle Existenz. Neues Leben entsteht dabei nicht. Wir sind eine neue Verkörperung in einem ununterbrochenen Lebensstrom.“

Oder anders gesagt: Wenn ein Symptom nicht bearbeitet wird, wird es weiter gegeben. Letztendlich sind wir ja auch schon in unseren Grosseltern ‚angelegt‘.

In meiner Praxis arbeiten wir mit diesem Thema genauso wie mit allen anderen – vor allem über das was Du über deinen Körper wahrnimmst, denn er ist die Brücke, die Schnittstelle. So gehen wir zum Beispiel in den therapeutischen Dialog mit dem körperlichen Symptom oder dem Gefühl der Scham. Oftmals erscheint mir die Frage: Gehört dies zu Dir oder zu jemand anderem? Die Antwort hier lautet dann: Zu jemand anderem…